Zeitungsberichte zum Schwebebahnunglück am 1. Mai 1917
General — Anzeiger vom 1. Mai 1917
Ein Schwebebahnwagen in die Wupper gestürzt
Heute nachmittag 3 1/4 Uhr ereignete sich ein schwerer Betriebsunfall auf der Schwebebahn. Ein Augenzeuge berichtet uns darüber: Ein von Rittershausen kommender, aus zwei Wagen bestehender Zug wurde kurz vor der Station Wupperfeld stromlos und blieb auf der Strecke hängen. Auf diesen Zug fuhr nun ein zweiter auf, der zur Hilfeleistung abgesandt war. Durch den Aufprall wurde der zweite Wagen des ersten Zuges aus dem Gleise gehoben und stürzte dann mit den glücklicherweise nur wenigen Fahrgästen in die Wupper. Soweit bis jetzt feststehen soll, ist niemand zu Tode gekommen, ebensowenig soll jemand ernstliche Verletzungen davongetragen haben. Eine amtliche Darstellung des Unglücks war vor Redaktionsschluß nicht zu erlangen. Die Aufräumungsarbeiten sind zur Zeit noch im Gange.
General — Anzeiger vom 2. Mai 1917
Das Schwebebahnunglück, das sich gestern nachmittag in Barmen zwischen den Bahnhöfen Rittershausen und Schillerbrücke (Anm.: Wupperfeld!) ereignete, hat in der Tat den verhältnismäßig noch günstigen Verlauf genommen, wie wir in unserer gestrigen Notiz bereits schildern konnten. In dem verunglückten Wagen befanden sich drei Fahrgäste, und zwar zwei Herren und eine Dame, davon trug ein Herr bei dem Unfall nur eine kleine Schramme im Gesicht davon. Der Wagenführer sowie die Schaffnerin und die anderen zwei Fahrgäste blieben wie durch ein Wunder unverletzt. Der Schwebebahnzug, der das Unglück herbeiführte, bestand wie der defekt gewordene aus zwei Wagen. Auch der Unglückszug war fahrplanmäßig und nicht als Hilfszug ausgesandt. Kurz vor der Unfallstelle, die direkt hinter der Fabrik von Ph. Barthels — Feldhoff liegt, befindet sich eine starke Kurve, so daß der Führer die Strecke nur auf eine kurze Entfernung übersehen kann. Zum Unglück scheint auch der Führer des zweiten Zuges angenommen zu haben, daß der plötzlich vor ihm auftauchende, defekt gewordene Zug auf dem nach Rittershausen fahrenden Gleise fahre oder hielt, und so fuhr er in voller Fahrt auf den Zug auf, wodurch der Anhängewagen des letzteren sich aufbäumte, vorne aus den Schienen gerissen wurde, und langsam, sich zuletzt umdrehend abstürzte. Der schwer beschädigte Wagen liegt umgestürzt quer in der Wupper, nur zum Teil unter Wasser, dicht an das eine Ufer stoßend. Bald nachdem sich das Unglück ereignet hatte, fuhren die Löschzüge der Feuerwehr zur Unfallstelle, auch waren sofort mehrere Arzte da, die, wie auch die Feuerwehr, glücklicherweise nur wenig Arbeit vorfanden. Die in dem Motorwagen des ersten Zuges befindlichen Personen wurden durch einen Laufsteg in einen anderen Wagen übergeführt. In der Schiller- und Zollstraße sammelten sich tausende von Personen an, um die Unfallstelle zu besichtigen. Der Verkehr auf der Schwebebahn war bis zum Abend noch nicht wieder aufgenommen, infolgedessen waren die Talbahnwagen überfüllt.
General — Anzeiger vom 3. Mai 1917
Anläßlich des jüngsten Unglücks auf der Schwebebahn ist die Frage der Sicherheit des Betriebes naturgemäß besonders eifrig erörtert worden. Es steht fest, daß der Führer des zweiten Wagenzuges den Bahnhof Rittershausen verlassen hat, obwohl er an der Ausfahrt rotes Signallicht sah, was bedeutete, daß der voraufgegangene Wagenzug die folgende Station — Wupperfeld — noch nicht durchfahren hatte, mithin die Strecke nicht frei war. Allerdings lag zugleich telephonische Meldung von Wupperfeld vor, die Strecke sei frei. Nun gehen viele Meinungen im Publikum dahin, daß bei rotem Signallicht, also wenn ein Wagen auf der betreffenden Strecke liegt, diese Strecke zugleich nicht weiter befahren werden kann, da der nachfolgende Wagen sonst auf automatischem Wege stromlos würde. Diese Vorsichtsmaßregel der automatischen Stromabstellung ist, wie uns die Betriebsleitung der Schwebebahn auf unsere Anfrage hin mitteilt, nur an den beiden Endweichen getroffen. Durch deren Ausfahrbarkeit liegt eine erhöhte Gefahr insofern vor, als in diesem Falle, da das Gleis dann in die leere Luft ragt, der Wagen unweigerlich abstürzen würde Auf der ganzen Strecke ist nach der Mitteilung der Betriebsleitung eine solche Maßregel nicht durchzuführen. Einen Schutz vor solchen Unglücksfällen kann also nur ein strenges Verbot der Ausfahrt aus der Station bei rotem Licht gewährleisten, das sich jeweils von einer Station zur voraufgehenden automatisch einschaltet.
Der Führer soll zur vorsichtigen Fahrt ermahnt worden, und die Ausfahrt aus Rittershausen soll nur deshalb erfolgt sein, weil man von Wupperfeld her Meldung hatte, daß die Strecke frei sei. Man konnte also annehmen, daß das Rittershauser Signallicht nicht richtig funktioniere. Diese Weisung zum vorsichtigen Fahren soll nun der Fahrer nicht befolgt haben.
Auch besteht die Vorschrift des verlangsamten Fahrens an solch scharfen Kurven, wie beispielsweise an der Unglückstelle in Wupperfeld oder an der Rathausbrücke in Barmen, wo aus ganz ähnlicher Ursache bereits früher einmal zwei Züge aufeinanderfuhren. Diese Vorschrift müßte, als die allerwichtigste, unbedingt strengste Beachtung finden, selbst dann, wenn nicht durch rotes Licht zur besonderen Vorsicht gemahnt wird. Der Führer hat, was übrigens leider häufiger vorkommen soll, auch gegen diese Vorschrift verstoßen. Wie er den Wagen vor sich für einen aus der anderen Richtung entgegenkommenden halten konnte, ist angesichts der Sachlage ‒ das rote Licht mußte ihm auf alle Fälle zur Warnung dienen ‒ schier unbegreiflich. Das ist die Ansicht der Verwaltung.
Wie uns die Schwebebahndirektion weiter mitteilt, soll im Laufe des heutigen Donnerstags der Betrieb wieder eröffnet werden. Hoffentlich mahnt der Vorfall die Führer für die Zukunft zur gewissenhaftesten Befolgung der Betriebsvorschriften. Denn daß der Unglücksfall, abgesehen vom Materialschaden, so glimpflich abgelaufen ist, ist lediglich einer seltenen Zufälligkeit zu danken. Andererseits ist es Pflicht der Verwaltung resp. der Aufsichtsbehörde, nochmals sorgfältig zu prüfen, ob nicht doch auf der ganzen Strecke die Wagen bei rotem Licht stromlos gemacht werden können. So ist es, soweit wir wissen, bei der Berliner Hochbahn, deren Haltestellen freilich weiter auseinanderliegen.
General — Anzeiger vom 8. Mai 1917
Zu dem Schwebebahnunglück in Wupperfeld gibt die Betriebsleitung die folgende Darstellung. Der am l. Mai vorgekommene Unfall auf der Schwebebahn wurde durch das Aufeinanderfahren zweier Züge verursacht. Dieses Vorkommnis war nur durch das unglückliche Zusammentreffen verschiedener ungünstiger Umstände möglich. Wieweit hierbei ein Verschulden der einzelnen Angestellten vorliegt, wird die eingeleitete Untersuchung zeigen.
Solange sich ein Zug auf der Strecke zwischen zwei Haltestellen befindet, ist diese Strecke gegen Einlaufen eines zweiten Zuges durch rotes Licht gesperrt. Dieses Lichtsignal war im vorliegenden Falle vorhanden. Trotzdem ist dem zweiten Wagenzug eine bedingte Durchfahrt gestattet worden. Hierbei ist es gemäß strenger Anweisungen die Pflicht des Führers, die Geschwindigkeit möglichst zu mäßigen und rechtzeitig den Strom auszuschalten und zu bremsen. Infolge Mißachtung dieser verschiedenen Vorschriften, auf die die Fahrer immer wieder verwiesen werden, erfolgte das Auffahren des zweiten Zuges auf den zufolge einer Fahrschalterbeschädigung auf der Strecke haltenden ersten Zuges. Der Stoß wurde dadurch besonders heftig, daß der erste Zug wegen des Gefälles mit festgezogenen Bremsen halten mußte, und in einer Bahnkrümmung stand. Letzterer Umstand hatte eine erhebliche seitliche Auswirkung der Wucht des auffahrenden zweiten Zuges zur Folge, die den Bruch der starken Sicherheitsvorrichtung des einen Wagenaufhängegestelles und dessen Abhebung vom Gleise verursachte.
Der vorzüglichen Ausgestaltung der Schwebebahnwagen ist es zu verdanken, daß der unter so kritischen Verhältnissen zustandegekommene Betriebsunfall für die Fahrgäste so harmlos verlief. Durch die Aufhängung des Wagens an zwei Fahrgestellen, von denen jedes mit besonderen Sicherheitsvorrichtungen gegen Entgleisen versehen ist, ist erreicht worden, daß, nachdem die dem Stoß unmittelbar ausgesetzt gewesene Sicherheitsvorrichtung beschädigt war und im Anschluß daran die Abhebung des einen Fahrgestelles vom Gleise erfolgte, der Wagen durch das zweite Fahrgestell mit einer unversehrten Sicherheitsvorrichtung noch auf dem Gleise gehalten wurde, so daß kein plötzlicher Absturz erfolgen konnte, sondern nur ein allmähliches Absenken des freistehenden vorderen Wagenendes, das dann auch ein allmähliches Lösen der Verbindung des anderen Wagenendes mit dem auf dem Gleise verbliebenen Radgestell und damit ein sehr verlangsamtes Absenken des ganzen Wagenkastens zum Wupperbett zur Folge hatte.
Daß bei dem Zusammenstoß der Wagen selbst und beim späteren Aufstoß des losgelösten Wagens auf die Erde keine erheblichen Beschädigungen der Fahrgäste zu verzeichnen waren, ist nicht zum wenigsten dem Umstande zuzuschreiben, daß die Kästen der Schwebebahnwagen, und zwar als erste überhaupt, aus Stahl und Eisen gebaut worden sind. Es konnten infolgedessen keine nennenswerten Zertrümmerungen an den Wagen, die bei einer Bauart aus Holz so leicht auftreten und den Hauptteil an Verletzungen der Fahrgäste haben, erfolgen.
Die Schwebebahn hat in seiner Betriebszeit von 16 Jahren bewiesen, daß ihre Einrichtungen die denkbar größte Sicherheit bieten. Ein Entgleisen, wie häufig bei Haupt- und Kleinbahnen ohne Zusammenstoß, ist noch nie vorgekommen, und kann auch vermöge der Eigenart der Aufhängung nicht vorkommen. Die Schwebebahn wird auch bestrebt sein, diese Einrichtungen soweit möglich noch weiter zu verbessern, um den Betrieb von menschlichen Fehlern und Schwächen und allen Zufälligkeiten möglichst unabhängig zu machen.
General — Anzeiger vom 22. August 1917
Gerichtssaal Elberfeld, 22. August 1917
Das Schwebebahnunglück das sich am 1. Mai ds. J. unweit der Haltestelle Wupperfeld in Barmen ereignete, hatte heute ein gerichtliches Nachspiel vor der hiesigen Strafkammer. Nach dem Ergebnis der umfangreichen Untersuchung kamen als Schuldige in Frage der Stellwerkswächter Wilhelm W., die Haltestellenwärterin Wwe. Ewald J. und der Wagenführer Erich Z. aus Barmen, und diese hatten sich daher heute vor Gericht zu verantworten. Das Unglück war das erste seiner Art und erregte umso größeres Aufsehen, als das Gericht gleich von zehn und mehr Toten und Schwerverletzten zu erzählen wußte, und eine Darstellung des wirklichen Sachverhaltes durch die Betriebsverwaltung zu lange auf sich warten ließ. Glücklicherweise erwiesen sich die Gerüchte als stark übertrieben. Das Unglück hätte bei der Sachlage schlimme Folgen haben können, war wunderbarerweise aber glimpflich verlaufen. Die Untersuchung ergab folgendes:
Der nachmittags gegen 3 Uhr von Barmen — Rittershausen abgefahrene Doppelwagenzug Nr. 8 bekam während der Fahrt nach der nächsten Haltestelle Wupperfeld einen Motorschaden und blieb liegen, kurz vor der Haltestelle Wupperfeld. Durch die automatisch wirkenden Lichtsignale machte sich diese Betriebsstörung auf der Abgangsstation Rittershausen bemerkbar. Es zeigte sich dort auf der Strecke nach Wupperfeld rotes Licht. Bei geregelt verlaufendem Betriebe bedeutet das Erscheinen eines roten Lichtes, daß der Zug, der die Strecke zuletzt befahren hat, die nächstliegende Haltestelle noch nicht verlassen hat, und der Wagenführer des folgenden Zuges hat in solchen Fällen zu warten, bis rotes Licht mit grünem wechselt. Dieser Lichtwechsel kann aber auch infolge anderer Ursachen unterbleiben, und für solche Fälle besteht nach der Betriebsordnung die Vorschrift, daß der Stellenwärter der durch rotes Licht gesperrten Haltestelle sich durch den Fernsprecher bei der folgenden Haltestelle nach der Ursache erkundigen und die Abfahrt des folgenden Zuges erst nach der Meldung, daß die Strecke frei sei, zu gestatten habe. In solchen Fällen hat er eine schriftliche Fahrterlaubnis auszustellen. Diese Vorschrift wurde von dem Stellenwärter W. in Rittershausen auch befolgt, er hat nach seiner Behauptung von der Haltestellenwärterin Wwe. J. in Wupperfeld durch den Fernsprecher den Bescheid bekommen, daß die Strecke frei sei und danach dem nächsten Doppelzug Nr. 9 die schriftliche Abfahrtserlaubnis erteilt. Die Wagenführer haben nach der Betriebsordnung in solchen Fällen ganz besonders vorsichtig die Strecke zu befahren und zu beobachten, und hierzu hätte für Z. umso mehr Veranlassung vorgelegen, weil die Strecke zwischen Rittershausen und Wupperfeld infolge großer Krümmungen schlecht übersehbar ist. Hierin hat er anscheinend gefehlt, denn als er den hängengebliebenen Zug Nr. 8 kurz vor Wupperfeld erblickte, befand sich der von ihm geführte Zug Nr. 9 noch in so schneller Fahrt daß es ihm nicht gelang, ihn zum Stillstand zu bringen und einen Zusammenprall mit dem schadhaft gewordenen Zug Nr. 8 zu verhindern. Der Zusammenprall war vielmehr so stark, daß die beiden hinteren Räder des zweiten Wagens vom Zuge Nr. 8 aus dem Gleis geschleudert wurden, worauf dann auch das andere Räderpaar entgleiste und der Wagen mitsamt seinen Insassen, die Kuppelung von dem vorderen Wagen abreißend, in die Wupper stürzte. Es befanden sich nur drei Fahrgäste und der Schaffner darin, und alle vier kamen mit ganz unbedeutenden Verletzungen davon. Etwas schlimmer erging es mehreren Fahrgästen der anderen Wagen, bleibende Folgen sind aber bei keinem zu verzeichnen. Während sich der Stellenwärter darauf berief, daß ihm die Wwe. J. die Strecke frei gemeldet hätte, behauptet diese das Gegenteil. Der dritte Angeklagte Z. wies den Vorwurf zurück, daß er zu schnell gefahren sei, und es an der erforderlichen Aufmerksamkeit habe fehlen lassen, er behauptete vielmehr, die Luftdruckbremse seines Wagens wäre undicht gewesen, und er habe deshalb schon ohne den nötigen Luftdruck in der Bremsvorrichtung abfahren müssen. Die Handbremse habe er nicht mehr in Tätigkeit setzen können, sie habe sich auch häufig als unwirksam erwiesen. Unter solchen Umständen, die Richtigkeit seiner Behauptungen angenommen, hätte er aber umso mehr die Pflicht gehabt, langsam zu fahren, wie es die Vorschrift ist. Das hat er aber, nach der Wucht des Zusammenpralles zu schließen, offenbar nicht getan. Der Sachverständige war denn auch der Meinung, daß ihn ein Verschulden an dem Unglück unbedingt beizumessen sei, er hätte, wenn er genügend aufgepaßt hätte, den schadhaft gewordenen Zug schon aus einer Entfernung von 147 Metern gut sehen und bei Anwendung ihm aller zu Gebote stehenden Mittel das Unglück verhindern können. Das Gericht sprach die Angeklagten W. und J. frei, verurteilte dagegen Z. zu 100 Mark Geldstrafe. Es war gleich dem Sachverständigen der Meinung, daß er nachgewiesenermaßen seine Pflicht nicht vollauf erfüllt habe. Das Gericht habe aber nur auf eine geringe Strafe erkannt, weil das Unglück nicht allein auf seine Fahrlässigkeit, sondern auch auf eine Reihe anderer Umstände, wie der Zustand des Materials, ein Mißverständnis bei dem Telephongespräch usw. mitgewirkt hätten.
Schreibmaschinentext von Herbert Cappel, Wuppertal, auf Computer übertragen und Fehler korrigiert von Udo Schneider, Wuppertal.
Bemerkung: Zug-Nr. 8 4.Zug, der am Morgen in Vohwinkel eingesetzt wurde) bestand aus den Wagen ? und 26, Zug Nr. 9, 4. Zug aus Rittershausen) bestand aus Wagen 28 und 47.
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